Zentrale Gedenkstätte am Bahnhofsvorplatz nach dem Entwurf des Künstlers Clas Steinmann, 2014 

Medizinverbrechen

Medizinverbrechen

Regionale Schicksale und Bezüge zur Ausstellung "KZ überlebt"

erarbeitet von James Anthony Dahmes

Sinti und Roma

In Auschwitz wurden medizinische Versuche häufig an Kindern durchgeführt, die aus der Minderheit der Sinti und Roma stammten. Sinti und Roma sind mit rund 11 Millionen Angehörigen die größte Minderheit Europas. Seit mehreren Jahrhunderten leben sie bereits in Deutschland. Die erste urkundliche Erwähnung findet sich 1407 in Hildesheim. Auch in Pirmasens gab es schon früh Sinti, die als Soldaten oder Händler ihr Geld verdienten. Die ursprüngliche Herkunft der Minderheit ist jedoch schwer zu rekonstruieren, da es keine schriftlichen Überlieferungen gibt. Es ist anzunehmen, dass sie aus Teilen des heutigen Indiens stammen.

Sinti und Roma sind in allen sozialen Schichten vertreten und gestalten ihr Leben individuell. Die Minderheit ist heterogen. Dies bedeutet, dass es viele verschieden Gruppen mit unterschiedlichen Lebensrealitäten, Selbstbezeichnungen und Traditionen gibt. Die einzelnen Splittergruppen sind stark geprägt durch die Geschichte und Kultur ihrer jeweiligen Heimatländer. Vereinfacht lässt sich jedoch sagen, dass Sinti vor allem in Mittel- und Westeuropa leben. Roma hingegen in süd- und südosteuropäischen Ländern.

Die öffentliche Diskriminierung der Minderheit wird als Antiziganismus bezeichnet. Dieser findet seinen Ursprung in einem seit vielen Jahrhunderten bestehenden Rassismus gegen Sinti und Roma. Antiziganismus gab es somit schon bevor die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Bis heute ist er in der Mehrheitsgesellschaft weit verbreitet. So wird die Minderheit mit Stereotypen konfrontiert, die sich auf Themen wie Freiheit, Magie, Kriminalität und Armut berufen. Auch werden Frauen häufig sexualisiert. Der Begriff Antiziganismus ist an die Fremdbezeichnung „Zigeuner“ gebunden und wird von der Minderheit abgelehnt. Während des Terrorregimes der Nationalsozialisten wurden Sinti und Roma als „Zigeuner“ verfolgt und ermordet.

Auch die Polizei folgte bereits vor 1933 rassistischen Denkmustern und griff auf Stereotype zurück, die sich in der Verwendung des Begriffs „Zigeuner“ widerspiegelten. So wurden Sinti und Roma häufig als „Diebsgesindel“ bezeichnet, die es zu „zivilisieren“ galt. Seit dem 18. Jahrhundert kategorisierte die pseudowissenschaftliche Rassenforschung Menschen nach ihrem Aussehen, wobei ihnen stereotype Merkmale zugeschrieben wurden. Die Nationalsozialisten nutzten dies, um die Minderheit als „artfremd“ und „minderwertig“ einzustufen. Ihre Rechte wurden damit stark eingeschränkt, viele Angehörige wurden sterilisiert. Im September 1939 beschloss das Reichssicherheitshauptamt erstmals die Deportation aller Sinti und Roma aus dem Reichsgebiet. Männer, Frauen und Kinder wurden in Ghettos und Sammel- und Konzentrationslager überführt und anschließend ermordet. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges verloren 200.000 und 500.000 Sinti und Roma ihr Leben.

Zu den Opfern zählen auch die Geschwisterkinder Anna und Robert Reinhardt. Sie wurden in Auschwitz ermordet. Wie die Brüder Hugo und Mano Höllenreiner stammten auch sie aus einer Sinti-Familie. Beide hatte sich vor ihrer Deportation in einem Waisenhaus in Pirmasens aufgehalten. Sie waren zu dem Zeitpunkt zwölf und 14 Jahre alt. Vor ihrer Deportation überlegte Robert zunächst, allein zu fliehen. Schließlich entschied er sich jedoch dazu, bei seiner Familie zu bleiben. In einem Abschiedsbrief an seine Klassenlehrerin schrieb er:

Ich habe meine Eltern und Geschwister wieder gefunden. Wir sind auf dem Transport in das Konzentrationslager. Ich weiß, was uns bevorsteht, meine Eltern wissen es nicht. Ich habe mich nun innerlich so weit durchgerungen, daß ich auch den Tod ertragen werde. Ich danke noch einmal für alles Gute, das Sie mir erwiesen. Grüße an alle Kameraden. Auf Wiedersehen im Himmel! Euer Robert.“

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